Im Coaching gehört für mich das Aufspüren – und Ändern – von alten Verhaltensmustern zu den lohnendsten Aufgaben. Und gerade hier erlebe ich meine Kombination aus psychotherapeutischem Hintergrund und Erfahrung im Wirtschaftsleben immer wieder als besonders hilfreich. So können wir an beidem gut arbeiten: an den fachlichen Aspekten des Themas und an den persönlichen Anteilen und Mustern.
Ein Fallbeispiel aus meiner Praxis
Eine junge Frau kam zu mir ins Coaching, weil sie in Kürze Führungskraft werden würde. Ihr Ziel: Sie wollte mit einem klaren Plan aus dem Coaching gehen, wen im Team sie wie am besten einsetzen sollte und was sie dafür an wen delegieren sollte.
An 3 Themen arbeiteten wir sehr gezielt:
- Wie konnte sie die MitarbeiterInnen bestmöglich einsetzen? Fürs Ergebnis der Abteilung aber auch für die einzelnen Personen.
- Wir planten ihre eigenen Ressourcen. Wie konnte sie diese am besten auf Strategisches und Personalarbeit richten? Wo ist es sinnvoll, sich operativ einbringen?
- Und schauten auf die Personalentwicklung. Wer im Team könnte sich wohin entwickeln und welche Aufgaben waren dafür gut geeignet.
Ganz klassisches Coaching, ganz am Ziel orientiert.
Ein zweiter und ein dritter Blick
Mir fiel allerdings eine Sache mehrmals auf: Sie sprach über einen Kollegen immer besonders kurz angebunden. „Er ist mein Vertrauter, ihn kenne ich schon ewig, er hat mich sehr dabei unterstützt, dass ich in diese Position komme. Auf ihn kann ich mich 100% verlassen, da brauchen wir gar nicht so viel besprechen.“ Sie blieb vage, was seine Position im Team sein würde. Zur Visualisierung ließ ich sie das Team mit Figuren aufstellen: ein insgesamt sehr stimmiges Bild. Fast. Bis auf ihren Vertrauten – ihn stellte sie als letztes auf. Die Figur, die sie für ihn gewählt hatte, war größer als sie und sie positionierte diese hinter das Team, in direkter Opposition zu ihr. Zwei Mal hatte ich meine kleinen Irritationen bereits angesprochen, diesmal blieb ich hartnäckiger. Denn das gehört zu den wichtigsten Aufgaben als Coach: Auf blinde Flecken aufmerksam machen.
Hinschauen, wo die blinden Flecken sind.
Wie fühlt es sich an, ihn ihr gegenüber, hinter dem Team zu haben? Der Satz begann zwar mit „Es fühlt sich gut an…“, aber dann brach es fast aus ihr heraus: „So habe ich ihn im Blick, so kann er mir nicht in den Rücken fallen.“ Sie war selbst von der Heftigkeit ihrer Antwort überrascht. Ich frage nach: Gab es Momente, in denen er Sie hintergangen hat? „Nein, ich verstehe dieses Gefühl nicht. Ich bin wirklich davon überzeugt, dass er ganz auf meiner Seite steht. Und trotzdem hab ich immer wieder dieses Gefühl, dass ich auf der Hut sein muss.“
Diesem Gefühl sind wir nach gegangen – geht ihr das mit anderen im Team auch so? Kennt sie das aus vergangenen Arbeitssituationen? Kennt Sie das aus dem Privatleben? Und überall sind wir fündig geworden, überall gab es Menschen, die sie sehr unterstützt haben, und je mehr sie sich eigentlich auf sie verlassen konnte, desto größer wurde ihre Zurückhaltung.
Wir kamen tief in ihre Kindheit: zum Vertrauensbruch ihres wichtigsten Freundes als sie 10 oder 12 war. Ein Kindheitstrauma, an das sie sich zwar erinnerte, aber die Gefühle, die sie damals hatte, schon lange als „Kinderkram“ weggeschoben hatte. Der gute Freund, irgendwann wird er mir in den Rücken fallen, lieber nicht zu viel Vertrauen fassen. Dieses Muster hatte sich in ihrem Leben fest verankert.
Wie es weiterging
In dieser Stunde wurde ihr klar, dass dieser Kollege immer hinter dieser Kindheitserinnerung verdeckt geblieben war, dass das Misstrauen nicht ihm galt, sondern ein Überbleibsel aus der Vergangenheit war.
Es gab keinen Grund, tiefer an diesem Erlebnis zu arbeiten – sie hatte keinen Leidensdruck und wie sich zeigte, konnte sie mit dieser Erkenntnis viel anfangen und ihr Verhalten entsprechend verändern. Es gelang ihr, das Team gut aufzustellen, und sie kann inzwischen ihren Kollegen als wichtigen Vertrauten wahrnehmen.
Natürlich ist es nicht immer so leicht, eine Erkenntnis aus dem Coaching so schnell umzusetzen. Die Muster, die uns prägen tragen wir ja meistens schon eine ganze Weile mit uns herum – aber ich erlebe immer wieder, dass solche Erkenntnisse einen wichtigen Anstoß für Veränderungen geben.